Donnerstag, 25. November 2010

Rede mit mir

Spricht Rilke von wachsenden Ringen, in denen man sein Leben so leben könne, ist für mich zunächst die Idee der endlosen Kreisform klar nachvollziehbar. Der Wachstumsgedanke hingegen stößt schnell an die Grenzen zu enger Kleidung. Wobei sich – bei genauerer Betrachtung – dann doch einige Bereiche finden lassen, die sich zunehmend und konzentrisch ausdehnen.  Nein, ich spreche jetzt nicht mehr von meinem Bauch. Ich spreche von den vielzähligen Komfortzonen, in denen ich mich sonst noch so und vor allem eben gedanklich bewege.

Zum Beispiel ist es noch gar nicht so lange her, dass ich es für bedenklich hielt, in einen nicht nur gedachten Dialog mit unbelebter Materie zu treten. Heutzutage gehört es zu meinem gemeinen Alltagserleben, emotionale und zuweilen auch durchaus laute Worte an informationsverarbeitende Elektronik, Fahrkartenautomaten oder elektronische Türschloss-Systeme zu richten. Die Grenze der Besorgnis hat sich also deutlich verschoben und bezieht sich inzwischen eher auf das Maß, in dem die so von mir angesprochenen Dinge dazu neigen, mir zu antworten. Insbesondere in den Fällen, in denen sich gelegentlich Ausbrüche körperlicher Gewalt nicht vermeiden lassen.

Doch die Welt im Allgemeinen und mein Leben im Besonderen arbeiten hart daran, auch diese Grenze zu verschieben. Konzentrisch und konzentriert. Was habe ich mich dereinst über die Erfindungen der Sirius Kybernetik-Corporation (googeln) amüsieren können. In einer Zeit, als Quittungstöne noch aus rauschigem Quäken bestanden und man sie sofort nach Inbesitznahme des Gerätes deaktivierte. Heute möchte ich mit einem Telephon ein Foto machen (schon allein dieser Umstand scheint uns so gar nicht mehr absurd) und es spricht mich statt dessen mit verführerischer Stimme an: „Sagen sie einen Befehl“. Weil ich es natürlich wieder einmal verkehrt herum gehalten und damit einen anderen als den beabsichtigten Auslöser gedrückt habe. Muss es denn gleich so devot darauf reagieren? Und warum sind diese Stimmen eigentlich immer weiblich? Soll mich das in irgendeiner Weise motivieren? Und wozu?

„Sie haben eine falsche Taste gedrückt.“ Ich meine ... gut. Ich will ja offen bekennen, dass ich diesen Satz im Laufe meines Umganges mit der einen und auch mit der anderen Dame durchaus schon einmal zu hören bekam. Zumindest der inhaltlichen Grundaussage nach. Zumeist jedoch war er sprachlich klarer formuliert, gern durch entsprechende Mimik oder explizite Gesten (wie etwa einem Schlag mit der flachen Hand an die Wange) illustriert und selten von der betont freundlichen Aufforderung begleitet, nun doch gleich noch einmal ganz von vorne anzufangen. So etwas verwirrt mich. Es widerspricht meiner gesamten, bisherigen Lebenserfahrung. Und das bei meinem Hang zur Kontinuität. Wer hat da eben gelacht?

Natürlich hat es auch im Laufe meines Lebens echte Wendepunkte gegeben. Ich denke da zum Beispiel an die komplette Neuausrichtung meiner Reinkarnationsplanung, seit ich erfahren habe, dass der Orgasmus eines gewöhnlichen Hausschweins bis zu einer halben Stunde andauern kann. Also versuche auch ich immer wieder von den Segnungen technischer Weiterentwicklungen Gebrauch zu machen. Schließlich bin ich ja dem Fortschritt an sich gegenüber nicht abgeneigt. Bin zum Beispiel ein eifriger Nutzer zeitgemäßer Nachrichtentechnologien. Selbst wenn ich konservativ genug bin zuzugeben, dass ich noch immer ein bisschen rot werde, wenn ich irgendwo zum zweiten Mal anrufen muss um zu vermelden, dass soeben leider das Betriebssystem meines Telefons abgestürzt ist. Was so ein Telefon heutzutage aber auch nicht alles kann. Oder ein „Handheld“. Ich verliere da leicht den Überblick. Wie letztens, als eine verschreckte Dame die ihr vermeintlich stilvoll dargereichte Tasse heißen Kaffees voller Panik vom ihrem LCD Device riss und meinen Hinweis, es handle sich hier doch ausweislich um einen Tablet PC so gar nicht humorvoll aufzunehmen verstand. Der Besitzerstolz technikverliebter Damen ist nicht zu unterschätzen.

Mein durch und durch besitzloser Verstand stößt auch immer wieder an die Grenzen seines Humors. Zumal dann, wenn kleine Geräte sich ernsthaft einbilden, mir ihren Ablauf der Dinge aufzwingen zu können. Mich unbeirrt und unaufhörlich mit Fehlermeldungen bombardieren und zu keiner vernünftigen Diskussion fähig sind. Sondern sich im Falle unterschiedlicher Meinungen über das, was jetzt zu tun und was nicht zu tun wäre, quasi beleidigt abwenden. Und einfach jede weitere Leistung verweigern. In solchen Situationen konnte ich mich wiederholt davon überzeugen, dass zum Beispiel die Flugeigenschaften eines handelsüblichen, zeitgemäßen Mobiltelephons mittlerweile durchaus ausgereift und im Vergleich zu den Vorgängermodellen einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht haben. Meine Bitte an die Experten der Mobiltelephonindustrie wäre es nunmehr, sich verstärkt den Aufpralleigenschaften zuzuwenden. Schon als Kind habe ich diese 1000-Teile-Puzzles immer gehasst. Vor allem dann, wenn Teile fehlen. Zum Beispiel, weil sie irgendwo in Rasenflächen oder in Ritzen des Bürgersteiges verschwunden sind. Überhaupt. Experten.

Statt dass sich Heerscharen internationaler Germanisten mit reformatorischem Ingrimm darum bemühen, mich zu zwingen, gewohnt aneinandergeschmiegte Buchstabenkonstellationen künftig aus ein an der zu schrei ben, wäre es eine doch viel lohnendere Initiative, dem Wildwuchs seltsamer Akronyme an Deutschen Fahrkartenautomaten Einhalt zu gebieten. Gerät doch das liederliche Anersinnen, einen dieser kleinen, sakral gefärbten Orte mittels des öffentlichen Nahverkehrs zu erreichen, zunehmend zu einem munteren Ratespiel. Ob in diesem Falle denn nun die Kürzstform „St“, ein weniger kurzes „Skt“ oder gar ein spanisch inspiriertes „San“ zu wählen ist. Ob mit oder mit ohne Punkt. Man gebe sich nicht dem Irrglauben hin, ein ausgeschriebenes „Sankt“ wäre so etwas wie ein verlässlicher Rückzugsort allgemeinen Konsenses; die Schreibweisen variieren selbst am gleichen Automaten mit Wechsel des entsprechenden Verkehrsbetriebes. Da fällt es noch vergleichsweise leicht zu akzeptieren, dass ich eben jenem Automaten neben dem Fahrziel noch meinen Familienstand, meine Blutgruppe und meine Schuhgröße mitteilen muss, damit der für mich in dieser Stunde ausgeloste Fahrpreis errechnet werden kann. Und seit die Strafgebühr fürs Schwarzfahren an vielen Orten mittlerweile ebenfalls per Automat entrichtet werden muss, ist auch das keine wirkliche Alternative mehr.

Stets das Gleiche zu tun und dabei immer wieder ein anderes Ergebnis zu erwarten, ist eine der gebräuchlichen Definitionen von Wahnsinn. Was sich auf diese Art für manche Menschen nur in der Erlebniswelt streng ritualisierter Religionsausübung erschließt, bestimmt in zunehmendem Maße meinen Alltag. Soll doch etwa das jeden Tag millimetergenau wiederholte Streicheln eines Metallkastens mit einem kleinen Plastikstück mir eigentlich alle Wege in den beruflichen Alltag erschließen. Tut es aber eben nicht. Zumindest nicht immer. Der Katechismus der Dinge, die ich in festgelegter Reihenfolge und detailgenauer Choreographie vor einer Jury elektronischer Erkennungsgeräte abarbeiten muss, um nachzuweisen, dass ich ich bin, wuchert mit jedem neuen Gadget, dessen die Sicherheitsabteilung habhaft werden kann.  Die Prozesse sind mittlerweile so ausgeklügelt, dass ich zuweilen selbst schon an der Aufrichtigkeit meiner Existenz zu zweifeln beginne. Doch jeden Morgen wieder vollführe ich das gleiche Ritual in der wirren Hoffnung, wenigstens einmal das erwünschte Ergebnis auf Anhieb zu erzielen. Mit dem gleichen Erfolg, den wiederholte Rituale bei Frauen haben. Wahrscheinlich steckt doch ein tieferer Sinn dahinter, dass die meisten Stimmen der Geräte weiblich sind.

In meiner kleinen Wohnung habe ich einen Toaster, bei dem ich das Brot per Hand wenden muss. Eine Kaffeemaschine, bei der ich gemahlene Bohnen und heißes Wasser in ein Glasgefäß gebe und diese Mischung dann dadurch wieder trenne, dass ich ein feines Stahlsieb herunterdrücke. Und ich habe ein Handrührgerät, das durch einen ausgeklügelten Zahnradmechanismus die manuell an eine Kurbel übertragenen Bewegungsimpulse in rasend schnelle Drehungen der Rührköpfe umzusetzen weiß. Oft treffen wir vier uns abends in der Küche, setzen uns für einen Augenblick zusammen und ich erzähle den dreien, wie wahnsinnig die Welt da draußen inzwischen geworden ist. Sie hören mir zu und spenden mir Trost. Manchmal glaube ich, sie sind die letzen, die mich noch verstehen.

Wie wird unser Held die zunehmende Verbreitung von WII, Kinect und Co. verarbeiten? Und wann bei einer Frau endlich einmal die richtigen Knöpfe drücken? Wir werden es nie erfahren. Weil wir gerade viel zu tief in eine scheinphilosophische Debatte mit dem Zigarettenautomaten verstrickt sind ...


(c) 2010 verkomplizissimus

6 Kommentare:

  1. und warum werden alle Unwetter mit Frauennamen tituliert ;-)

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  2. Du hattest schon immer Deine Probleme mit der Technik. Aber das Du jetzt mit Toaster und Handrührgerät scheinbar abendfüllende Konversation betreibst, macht mir Sorgen. Gruß Tristan

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  3. Oh - hier bist Du nun gelandet, wie seltsam ;) Oder auch nicht. Die Dinge kommen eben immer irgendwie zu einem. Und lustiger Weise habe ich kürzlich auch schon darüber nachgedacht, ob ich wieder Lust auf einen Blog hätte ...
    Viele und liebe Grüße vom großen C. :)

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  4. Du kennst mich nicht - und ich dich nicht.
    Doch lesen tu' ich dich schon lang ;)

    Hier jetzt allerdings in ansprechenderer (äußerer) Form als drüben in deinem Space.

    Ich freue mich :)

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  5. Frauen sind halt eine Naturgewalt! Deswegen, werden Stürme und Unwetter nach uns benannt! :-D

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  6. Schön, Dich jetzt hier zu finden. Wieder eine wunderbare Geschichte. Hoffentlich gibt es bald mehr davon....

    LG

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