Sonntag, 10. April 2011

Businessmen eating Banana

Süddeutschland – Aus bisher noch unbekannten Gründen öffnete heute Morgen Herr V. aus H. kurz nach dem Landeanflug auf einen Süddeutschen Kleinflughafen unvermittelt die Tür des Notausganges. Der Vorfall ereignete sich, während die zweistrahlige Düsenmaschine einer populären Fluggesellschaft noch im Ausrollen begriffen war. Augenzeugen wollen gesehen haben, wie der offenbar für sein Alter erstaunlich agile Passagier sich anschließend hüpfend über den Rasen des Flugfeldes auf ein nahegelegenes Waldstück zubewegte, in dem er schließlich verschwand. Die von Flugpersonal und Ordnungskräften umgehend eingeleitete Suchaktion blieb bisher ergebnislos. Ein Polizeisprecher gab sich gelassen: „Die ernähren sich dann in der Regel eine zeitlang von Pilzen, Buschwerk und selbstgefangenen Eichhörnchen. Aber spätestens nach den ersten kalten Nächten im Herbst kommen sie alle wieder zurück.“

Etwas verwundert lausche ich meinen Gedanken und bleibe immer wieder an dem Punkt hängen, wie denn eine „umgehende Suche“ ihren Zweck erfüllen soll. Ist es dabei doch eher förderlich, sich direkt auf eine Sache zuzubewegen statt um sie herum zu laufen. Außer, sie wäre an einen Marterpfahl gebunden. In welchem Falle sie aber dann eigentlich nicht mehr gesucht werden müsste. Auch ist es meist kein Gehen, sondern eher eine Art Hüpfen, welches die umtriebigen Pfahlumtänzer so treiben. Woher kam doch gleich der Gedanken an den Marterpfahl?

Ach ja. Ich schaue durch die nieselnassen Scheiben des Busses, welcher mich die 75 Meter vom Kleinflugzeug zum Terminal befördern muss, und beobachte die Fachkräfte, die sich hingebungsvoll den Gepäckstücken widmen. Unaufhörlich quillen Letztere aus dem Leib der Maschine, um am unteren Ende von danach lechzenden Händen Ersterer empfangen zu werden. Wenn ich einmal richtig reich sein oder werden sollte, spendiere ich allen Kofferentladern auf den Flughäfen dieser Welt ein kostenfreies Anti-Aggressionstraining. Immerhin haben sie mir vor Augen geführt, das man Dinge nicht nur hoch, sondern – selbst bei Minimalabständen von unter fünfzig Zentimetern – auch mit aller Kraft nach unten werfen kann. Hochwerfen kommt erst dann, wenn sich eine solide Grundschicht aus geplatzten Plastik- und Metallteilen sowie sauberer und nicht mehr ganz so sauberer Unterwäsche im Anhänger des kleinen Kofferzuges gebildet hat. Nicht ohne Bewunderung erkenne ich die Meisterschaft mancher Werfer an, die sich ihren trüben Arbeitsalltag aufhellen, indem sie wahre Kunststückchen aus Saltos, Pirouetten oder mir zuvor völlig unbekannten Flug- und Drehfiguren – und das unter Zuhilfenahme von Gepäckstücken jeder Form und Güte – vor ein eigentlich nicht vorhandenes Publikum zaubern. Also ... ich kann das mit meinen Kunden oder Kollegen meistens nicht machen. So sehr mir oft genug danach wäre.

Eigentlich beneide ich diese Kofferumlader. Auch oder vielleicht auch gerade weil ich just mein Gepäckstück in schwindelerregenden Rotationsbewegungen aus etwa drei Metern Höhe auf einen dieser scharfkantigen Metallkoffer aufprallen sehe. Und somit selbst ein ganz heißer Kandidat für dieses Anti-Aggressionstraining bin. Dieser Gedanke lässt mich dann auch den ganzen Tag nicht los. Weder der an das Anti-Aggressionstraining noch der daran, dass es diesen Menschen am Flugzeug vielleicht viel, viel besser geht. Als den meisten im Flugzeug. Vielleicht? Wahrscheinlich. Sie können berühren, was sie tun. Ihre Gefühle direkt auf etwas Materielles übertragen. Und. Sie haben einen klar definierten Arbeitsbeginn. Und einen noch viel klarer definierten Feierabend.

Zu gewohnt nächtlicher Stunde rolle ich schließlich nach einem ebenso gewohnt abstrakten Arbeitstag mit meinem treuesten Gefährten, meinem – ach – so geschundenen Koffer durch eine fremde, verlassene Stadt vom Büro in Richtung Hotel. Als Verkörperung meines Sinnlosigkeitsgefühls verweht eine alte Zeitung Seite für Seite über die Straße, geschickt zwischen den ab und an aus der nahen Wüste herangewehten Ginsterbüschen kreuzend. Ich sehne mich nach einem Pferd und möchte Kühe über die Wiesen treiben. Oder Tischler sein. Ein grobes Stück Holz in meinen dann sicher auch groben Pranken spüren und es mit schwerem Werkzeug bearbeiten. Oder Bauer könnte ich werden. Meinen Blick über die bestellten Felder streifen lassen und dabei verträumt die Sense schärfen. Es ist Erntezeit. Gärtner auch, vielleicht. Meine bloßen Hände tief im warmen, tiefen, duftenden Erdreich vergraben. Oder – wenn das schon nicht geht - wenigstens im Dekolleté der Empfangsdame an der Hotelrezeption. Vor der ich gerade angekommen bin, um wortkarg und den Kopf voller warmer, tiefer und duftender Sinneseindrücke, endlich einzuchecken.

Solche Gedanken und Empfindungen sind weder für die Kunden- noch für irgendeine andere denkbare Form von Beziehung gut. Wahrscheinlich aus diesem Grund achten die Fluggesellschaften bei der Einsatzplanung des Servicepersonals peinlich genau auf häufige Wechsel, so dass eine Vertiefung sozialer Bindungen zwischen Fluggast und seiner luftigen Begleitung praktisch unmöglich wird. Und er sich auf andere Konstanten zurückzieht. Gern würde ich an dieser Stelle auf manches Klischee verzichten, doch es ist notwendig zu erwähnen, dass es das „Zen des Tomatensaftverzehres“ gibt. Anfängern und Wenigfliegern erschließt sich diese verborgene Welt des routiniert Reisenden nicht. Es ist etwas ganz Verborgenes, Stilles, Heiliges.

Das Ritual beginnt mit ruhiger Betrachtung der vor einem stehenden, amorphen Masse im dünnwandigen Plastikbecher. Ohne den Blick abzuwenden geht der Griff zu Pfeffer- und Salztütchen, um mit einem einzigen, kühnen Schwung aus dem Handgelenkt alle verirrten Krümel aus dem angestrebten Öffnungsbereich zu entfernen und geballt am unteren Boden der Tütchen zu versammeln. Neigen Vielflieger noch dazu, Pfeffer- und Salztütchen getrennt zu öffnen, geschieht das bei Fluggästen mit Senatorstatus in einer einzigen, träumerisch fließenden Bewegung. Dem zweimaligen Falten der leeren Papiertütchen nach Einstreuen ihres Inhaltes in den Tomatensaft kommt besondere Bedeutung zu. Glaube ich zumindest. Auch, wenn sie sich mir noch nicht ganz erschlossen hat. Aber ich arbeite daran. Geübter bin ich schon darin, das kleine Holz- oder Plastikstäbchen zwischen die Spitzen von Daumen und Zeigefinger zu nehmen und unter langsamen Rührbewegungen – ganz wichtig: nur im Uhrzeigersinn, bitte – in das so geweihte Getränk einzuführen. Die Rührbewegung ist nicht zu unterbrechen, bis sich Salz- und Pfefferkrümel gänzlich von der Oberfläche zurück- und in die urmutterhafte, tomatensaftgewesene Allegorie des Lebens, des Universums und des Seins der Dinge an sich eingezogen haben. Ist dies erst geschehen, ist der Zeitpunkt der Vereinigung mit diesem Universum gekommen. Grundsätzlich sei dabei empfohlen, nur schluckweise vorzugehen. Zu stark kann sonst die Energie, die dem Getränk nach solchem Ritual innewohnt, auf Körper und Geist des Ungeübten einwirken. Es sei denn, die spirituell inspirierte Vereinigung findet durch eines der zahlreichen Luftlöcher auf höher gelegenen Verkehrswegen eine spontane Beschleunigung. Dann wirkt meist jede reibende Bewegung mit Papier- oder Textilutensilien den Fleck in der Bauchgegend nur noch tiefer ins Gewebe ein. Ich helfe mir dann meist damit, mir Geschichten über spektakuläre Terroristenangriffe, haarsträubende Schießereien oder mitreißende Verfolgungsjagden mit anschließendem Verkehrsunfall auszudenken und jedem zu erzählen, der die Frechheit besitzt, mich nach der Herkunft dieses Flecks zu fragen. Meist aber schreckt mein grimmiger Gesichtsausdruck nach solcherlei Erlebnissen jeden potentiell Fragenden von vornherein ab.

Dabei ist Tomatensaft nicht die einzige Bedrohung, der sich ein vielfliegender Berater ausgesetzt weiß. Beinahe ebenso tückisch ist der durch Bewegungsmangel und das chronisch auf Gummibärchen, Sandwiches oder Kantinenessen reduzierte Nahrungsangebot bedingte Magnesiummangel. Schneller noch als der im nächsten Schritt drohende Skorbut drückt sich der Mangel an Magnesium nicht etwa dadurch aus, dass man nicht mehr – einmal angezündet – in buntesten Flämmchen (und das auch noch unter Wasser) verknistert, sondern lediglich langweilig verkohlt (der Dehydrierung des gemeinen Beraterwesens wäre ein eigenes Kapitel zu widmen). Nein, Magnesiummangel macht sich eher dadurch bemerkbar, dass man nachts aus einem Albtraum zu erwachen glaubt, nur um festzustellen, dass es gar kein Albtraum war, sondern der ganze Körper sich tatsächlich in widerlichen Krämpfen schüttelt. Es gibt noch andere Nebenwirkungen, doch die wollen hier gnädig verschwiegen sein.

Wohl aus diesem Grunde sind Bananen, dem Irrglauben nach immer noch einer der ergiebigsten Magnesiumlieferanten, fester Bestandteil einer jeden Flughafenlounge. Und bilden somit, neben den dort ebenfalls erhältlichen Gummibärchen, Salznüsschen und gelegentlichen Sandwiches quasi das lebenserhaltende Grundrauschen an Nahrungszufuhr. Nur eines haben die Erfinder der modernen Beratungsgesellschaft dabei nicht bedacht: welche Figur ein durchschnittlicher Berater beim Verzehr einer Banane abgibt. Ich selbst hege eine tiefe Abneigung gegen Bananen. Wer mag, kann mich gern nach den Gründen dafür befragen. Und wer nicht mag, dem sei versichert: sie sind stichhaltig. Auf jeden Fall muss ich daher in diesem besonderen Fall den Bereich eigener Erfahrung verlassen. Nicht jedoch den eigener Anschauung. Und gern gebe ich zu, dass ich dieser Anschauung immer wieder und mit großer innerer Freude fröhne.

Denn die Szenerie ist eigentlich immer die Gleiche. Mit weichem Tritt begibt sich ein graugekleidetes, je nach Tageszeit frisch gebügelt oder zerknittertes Beraterwesen an die Auslage der Flughafenlounge (Kontinent, Land oder Sprachraum sind dabei vollkommen unerheblich; es handelt sich hier um ein wahrhaft globales Phänomen), um sich mit Salznüsschen und Weingummi einzudecken. Versonnen gleitet der Blick über ansonsten spärliche Auslage und erfasst schließlich einen Korb oder eine Schüssel, in der Bananen zum Verzehr angeboten werden. Weibliche Berater sind an dieser Stelle gegenüber ihren männlichen Kollegen übrigens deutlich im Vorteil, denn sie können die fettige Südfrucht in ihren Handtaschen deponieren und zu irgendeinem, gebotenen Zeitpunkt in Ruhe und – vor allem – unbeobachtet verzehren. Die männlichen Kollegen, die es unter Zuhilfenahme von Diplomaten- oder Pilotenkoffern oder gar ihrer Laptoptasche versucht haben, es den Damen nachzutun, sind meist recht eindrücklich und nachhaltig eines Besseren belehrt worden. So etwas empfiehlt sich eher weniger. Es bleibt also nur der unmittelbare Direktverzehr. An Ort. Und Stelle.

Üblicherweise lässt sich schnell feststellen, dass die abgeschiedeneren und weniger einsichtigen Ecken in den Lounges längst besetzt sind. Es bleiben – will unser Berater denn im Sitzen speisen – nur die kleinen Tische in der Mitte des Raumes. Sozusagen in der Mitte des Geschehens. Einen solchen Platz ergattert, folgt der Berater unweigerlich seinen natürlichen Reflexen, räumt Zeitungs- und Speisereste beiseite und klappt sein Laptop auf. Die immer weiter um sich greifenden Devices wie Tablet-PCs oder Netbooks bieten hier natürlich Vorteile, was die freizuräumende Fläche betrifft. Das Prinzip bleibt jedoch gleich. Nachdem die E-Mails abgefragt und das Telefon griffbereit neben dem mobilen Schreibtisch platziert wurde, kehrt die Erinnerung an die nächtlichen Wadenkrämpfe zurück. Und an die mitgebrachte Banane.

Wie weit sich der heutige Berater von seinen Vorfahren aus Cro-Magnon-Zeiten entfernt hat, dokumentiert er gern durch den Gebrauch von Technik, Kleidungsgewohnheiten und affektiertem Gehabe. Alle drei stehen dem gelassenen Verzehr einer Banane diametral gegenüber. Sorgsam und mit sehr, sehr spitzen Fingern wird die Frucht mit chirurgischer Vorsicht von der sie umgebenden Schale befreit. Kritisch der Zustand beäugt, der beim Fruchtfleisch irgendwo zwischen quietschig grün und schleimig braun angesiedelt werden kann. Und schließlich herzhaft ein erster Biss gewagt. Nicht zu klein, denn schließlich möchte man den Umstand der Zuführung in den eigenen Organismus so schnell wie möglich hinter sich bringen. Meist umfasst der erste Bissen also etwa sechzig Prozent der Bananengesamtmasse. Unvorstellbar, was eine solche Frucht mit der Mimik eines Beraters anzustellen vermag. Wehe dem, der nun zum Lachen reizen sollte. Doch diese Gelegenheit ergibt sich nur äußerst selten. Denn meistens klingelt in genau diesem Moment das neben dem mobilen PC platzierte Telefon.

Es ist erschütternd zu beobachten, wie manche Menschen Opfer ihrer Reflexe werden. Und der Verstand erst in dem Augenblick zu arbeiten beginnt, in welchem der Anruf schon angenommen und das Telefon ans Ohr gebracht ist. Spätestens bei dem Versuch, sich an selbigem mit Namen zu melden, wird diese Tatsache dem bananengestopften Berater in vollem Umfang bewusst. Doch dann ist es zu spät. Erste Spritzer fruchtiger Flüssigkeiten benetzen Bildschirm und Tastatur. Bei den Anhängern von neumodischer Tablet-PCs praktischerweise gleich Beiderlei. Im Sinne des Wortes: in einem Atemzug. Die ganze Tragik dieses Umstandes wird dem Sprecher in dem Moment offenbar, in dem er die von seinem Gesprächspartner erfragten Informationen aus dem PC abrufen muss. Neuesten, wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge übersteigt der Gehalt an potentiell gesundheitsschädlichen Keimen einer durchschnittlichen PC-Tastatur den von WC-Brillen öffentlicher Toiletten um ein Vielfaches. Für Tablet-PCs liegen meines Wissens noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Als unbestreitbar darf jedoch die Tatsache gelten, dass handeslübliche Bananen für einen Löwenanteil des organischen Nährbodens verantwortlich sein dürften, auf welchem diese Keime zu gedeihen pflegen.

Schon während des Telefonates ist der Berater mittlerweile an die Weingummiausgabe zurückgekehrt und hat sich Servietten zusammengesucht, um die gröbsten Schäden zu beheben. Meist bleibt diese Tätigkeit in dem Schritt stecken, wo es um die Reinigung des seltsamen, bunten Stoffstückchens geht, welches man sich aus irgendeinem, für niemanden so recht nachzuvollziehenden Grund um den Hals gebunden hat. Ungegessen und verschmäht, zuweilen noch mit kurzem, hasserfüllten Blick getadelt, dämmert derweil der Rest der schuldhaften Banane zwischen Zeitungen und zerknülltem Zellstoff seiner organischen Zersetzung entgegen. Oder dem nächsten Berater, der ahnunglos auf dem Tisch Platz für seinen mobilen PC schaffen möchte. Den Bananen hat unser Berater zumindest zunächst abgeschworen. Bis zum nächsten, nächtlichen Krampfanfall.
Abschließend sei an dieser Stelle nicht verschwiegen, dass auch ich mir immer wieder bunte Stoffstückchen um den Hals binde. Wahrscheinlich, um das Anthrazit des umgebenden Wollgemisches zumindest stellenweise etwas aufzuhellen. Aber das ist nicht der Grund, warum ich keine Bananen esse. Das ... ist ein anderer.


Wird unser Held sich ob seiner selbstgewählten Musa-Abstinenz nun weiter in nächtlichen Krämpfen winden? Oder sollte sich am Ende doch eine Hotelangestellte ausschnitthaft seiner Leiden durch wohltuende Massagen annehmen? Wir werden es nie erfahren. Denn gerade ist ein neuer Flieger aus Übersee gelandet. Und es gilt, ein wenig Gepäck auszuladen ...

(c) 2011 verkomlizissimus

Freitag, 1. April 2011

Voll Bock auf Gärtnern

Neben dem alten, guten Siegfried gibt es noch andere Lenze, die sich derzeit vehement in den Vordergrund zu rücken verstehen. Oft genug ist es dann auch genau der Rücken, der sich in der Folge unter freiem Himmel verrichteter Arbeit nicht minder vehement zu Wort meldet. Den Serien-Junkies unter meinen Lesern sei gesagt: Nein, diese Folge lässt sich nicht in den bisher auf DVD erhältlichen Seasons finden. Diese Season sollte man dann doch schon selbst erleben.

Glücklich, wer jemanden kennt, der Zugriff auf einen Garten hat. Dumm, wer dann sein vorlautes Mundwerk nicht zu halten versteht. Denn allzuschnell hält man dann anderes. Einen Spaten in der Hand, zum Beispiel. Derweil der Eigner der geheiligten Scholle sich eher darauf versteht, Reden ans Volk zu halten. Was bizarre Züge annimmt, wenn sich die Gesamtpopulation dieses Volkes aktuellen Zählungen meinerseits nach auf scheinbar ausschließlich mich beschränkt. Da nützt dann auch der Hinweis wenig, dass Schollenfischerei erst ab dem Monat Mai legitim sei und nach Verleihung des Literaturnobelpreises an Herrn Grass doch ohnehin ganz andere Plattfische viel höher im Kurs stünden.

Man lässt mich nicht ausreden sondern bezichtigt mich, nach eben solchen zu suchen. Ausreden. Nicht Butts. Würde ich jetzt nicht mit einem Spaten unter freiem Himmel stehen, sondern in anheimelnd vertrauter Verkrümmung und dichtem Tabaksqualm an meinem Schreibtisch hocken, könnte ich wenigstens schnell bei Wikipedia nachschlagen, ob es sich bei „Butts“ wirklich um den korrekt formulierten Plural dieses Meeresbewohners handelt. Und würde weiterforschen, woran man denn männliche von weiblichen Butten unterscheiden kann. Und wie die Fangquoten im Chinesischen Meer gerade eingerichtet sind.  Oder welchen Nährwert 100 Gramm Weißfischfleisch auf die Spur bringen, wenn man sie einen angemessenen Moment in Weißweinsud dünstet. Oder. Aber. Ich muss wohl dumm sterben. Denn ich kann nicht nachschlagen. Ich soll umgraben. Und das zwei Spaten tief. Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, den ich für meine Frage ernte, ob dabei wirklich die gesamte Länge des Stiels gemeint sei oder ob ich nicht unterwegs ein wenig schummeln dürfe, hätte ich auch diesen Begriff besser vorher einmal googlen sollen.

Ich bin Geisteswissenschaftler. Man darf von mir Eloquenz und Feingefühl erwarten, wenn es darum geht, die sensualen Eindrücke zarten Wachstums und elfengleicher Blütenerscheinungen festzuhalten. Auch sehe ich mich in der Lage, profunde Werturteile über gartenarchitektonische Konzepte, barocke, Englische oder Japanische Einflüsse, sogar über Zitate aus den großen Parkanlagen dieser Welt abzugeben. Gröber handwerklich geprägte Tätigkeiten liegen mir ferner. Und sind auch selten von wirklichem Erfolg geprägt. Binnen kurzer Frist gelingt es mir, blühende Tropengärten in etwas umzuwandeln, dass eher einer Hommage an die Kasachische Steppe sein könnte. Doch nein, das wäre übertrieben. Denn das geht zumeist nicht allein auf eigene Initiative zurück, sondern gelingt erst unter tatkräftiger Mitwirkung örtlicher Flora und Fauna. Vor allem - letzterer.

Nach meinen Erfahrungen hat es sich als Illusion erwiesen, mit politisch korrekten und ökologisch abbaubaren Mitteln dem entgegenzutreten, was nach Dekaden chemischer Kriegsführung in Deutschen Vorgärten genmutiert, multiresistent und überlebenshungrig am Image meines grünen Daumens nagt. Mit dem ersten Frühlingsgrün ist Leben allerorten dabei, vital die Systematik der Nahrungsketten zu illustrieren. Ganz unten stehen dabei in der Regel die Blätter und Wurzeln der von mir adrett angerichteten Vegetation. Und lasse ich dann der Natur ihren Lauf, so ist sie alsbald fast nicht mehr sichtbar. Zumindest nicht in dem Garten, den ich gerade bearbeitet habe. Nomadengleich ist die Karawane des Lebens längst weitergezogen; immer dorthin, wo Gleichgesinnte vor dem Gebrauch meuchelnder Erzeugnisse moderner Chemieproduktion zurückschrecken. Andere mögen derweil hinter fest verschlossenen Fenstern auf ihre fotogenen Kunstblumenbeete schauen und darin fortfahren, Kinder und Enkel eindrücklich davor zu warnen, die giftigen, aus dem Garten herankommenden Dämpfe einzuatmen oder gar eines dieser wehrhaft mit allerlei Wirksamem ausgestatteten Pflänzchen zu berühren. Das ist meine Sache nicht. Ich schaue lieber in die meditative Ruhe der schonend bearbeiteten Gartenfläche und lese Bücher über Pferdezucht. Die soll in der Kasachischen Steppe nämlich ganz hervorragend funktionieren. Schon allein deshalb, weil sich dort kaum etwas anderes anstellen lässt.

Doch auch hier hat die Natur ein Einsehen. Und schickt mir ihre Boten und Handlanger zu, auf dass meine kleine Steppe nicht allzu öde und trist bliebe. Vor allem nicht flach. Wer wie ich ein lebenslanger Fan der „Sendung mit der Maus“ ist, weiss, welch possierliche Kerlchen unter der Oberfläche hausen, um ab und an – mit winzigem Schäufelchen und grenzenloser Neugier bewaffnet - an die Oberfläche zu stoßen. Um dort lustige Abenteuer zu erleben und ein paar Brocken Tschechisch zu sprechen. Freilich muss ich eingestehen, das Kerlchen mit dem Schäufelchen selbst noch nie zu Gesicht bekommen zu haben. Sein eifriges Wirken hingegen ist umfangreich und sichtbar dokumentiert. Überall.

Mein Ansatz, die optische Wirkung der auf diese Weise entstandenen Berg- und Schluchtenlandschaften durch gezielte Anpflanzung von Bonsai zu verstärken, wurde durch den bestetigen Eifer wohl wühlender Mäuse zunichte gemacht. Noch besser als aufs Wühlen verstanden sich jene nämlich darauf, Wurzelwerk abzufressen, was meiner Waldlandschaft einen quasi ewigen, blattlosen Winteranschein verlieh. Und so etwas kann auf die Dauer schon recht deprimierend wirken. Ich holte mir fachkundigen Rat. Dieser Bestand im wesentlichen im Hinweis auf das besonders feine Gehör der kleinen Pelztierchen. Man müsse nur adäquaten Lärm machen, dann würden sie recht bald von selbst das Weite suchen. Meinem Einwand, dass ich das Weite wahrscheinlich lange vor den Pelztierchen finden würde, wenn der Garten geräuschlich von einem Ort der Ruhe zu einer eher geschäftigen Bundesautobahnbaustelle mutiere, wurde entgegengehalten: Nein, es reiche vollkommen aus, in gewissen Abständen Bierflaschen in die Löcher und Gänge zu stecken. Leere, natürlich. Vielleicht, dachte ich mir, denken die Wühlmäuse dann, die Bauarbeiter seien gerade nur kurz weggegangen. Vielleicht, um neues Bier zu holen. Man belehrte mich: Nein, mit dem Hals (geöffnet) nach oben seien sie zu postieren. Die Flaschen, nicht die Bauarbeiter. Der sanft darüberstreichende Wind tue dann sein übriges und das eben unterirdisch.

Bierflaschen waren in diesem Sommer so ziemlich das einzige, dass sichtbar in diesem Garten wuchs. Doch ich muss zugeben, sie gediehen prächtig. Überall schossen sie quasi wie Pilze aus dem Boden. Ob Gemüsebeet, Rabatten oder Sonnenrasenstück – ein gleichmäßiger Teppich aus dem Boden ragender Flaschenhälse gab dem gesamten Areal eine ... ganz eigene Atmosphäre. Fast war ich versucht, mit der süddeutschen Gastronomenzunft den Rechtekrieg um die Verwendung des Begriffes „Biergarten“ aufzunehmen. Die wenigen Menschen, die sich trotzig über das Gerede der Nachbarschaft hinwegsetzten und dieses landschaftsarchitektonischen Kabinettstückchens ansichtig wurden, zeigten sich allesamt beeindruckt. Ich hatte mir zu solchen Anlässen angewöhnt, in mindestens die Hälfte der leeren Flaschen einzelne Schnittblumen zu platzieren. Gekaufte, versteht sich. Viel weniger beeindruckt zeigten sich hingegen die bepelzten Mitbewohner. Standhaft hielten sie mir die Treue. Am Ende der damaligen Gartensaison gab es dann wahrscheinlich zum ersten Mal seit überlieferter naturwissenschaftlicher Forschung gehörgeschädigte Nagetiere in Norddeutschland. Und ich hatte ein Alkoholproblem.

Vielleicht hätte ich ja Tschechisches Bier nehmen sollen. Tiere können da eigensinnig sein. Und konsequent. Genau so konsequent wie Bier dazu geeignet ist, Schnecken anzuziehen. Magisch. Und in großen Stückzahlen. Weiß der Himmel, wo all diese Tierchen überhaupt noch etwas zu fressen gefunden haben. Als sie schließlich dazu übergingen, sich gegenseitig zu verspeisen, erklärte ich die Gartensaison für diesen Sommer beendet und wandte mich eher herbstlichen Vergnügungen zu. Kastanientierchen bauen, zum Beispiel. Wenn man die dann auf Maulwurfshügel setzt, sehen sie mit etwas Phantasie ein bisschen aus wie Bergziegen.

Ich weiß nicht, wie ich jetzt darauf komme, doch es mag auch an der damaligen Nachbarin gelegen haben, dass mir die Arbeit unter freiem Himmel nicht wirklich viel Spaß gemacht hat. Das sieht in dem Garten, indem ich mittlerweile in Erinnerung an meine Maulwürfe schon mindestens viertelspatentief vorgedrungen bin, netter Weise ganz anders aus. Malerisch über den Spaten drapiert wische ich mit dem Handrücken ehrlichen Schweiß von meiner Stirn und achte sorgsam darauf, nicht unter Atemnot und Schwächegefühlen zusammenzubrechen. Statt dessen plaudere ich. Über Englische und Japanische Gärten, den unvergleichlichen Geschmack selbstgezogener Kirschtomaten und darüber, wie man effektiv und umweltschonend Maulwürfe oder Wühlmäuse vertreibt. Und ja, natürlich schaue ich mir später mit Vergnügen die neuangelegten Radieschenbeete im Gärtchen ihrer Großmutter an. Und nein, es macht mir nichts aus, den Spaten gleich mitzubringen. Schließlich muss einer so netten, alten Frau doch geholfen werden. Etwa dadurch, dass man ihrer reizende Enkelin beim Umgraben ein wenig unter die Arme greift. Ich meine. Zur Hand geht. Meine Güte. Der Rücken tut überhaupt nicht mehr weh. Ich spüre neue Kräfte in mir wachsen. Ja. Juchei. Wahrlich. Es ist Frühling.


Wird unser Gärtner die wahre Maulwurfsnatur seines Daseins noch rechtzeitig erkennen? Oder findet der giftspritzsprühendstreuende Nachbar zur Linken einen einfacheren Weg, ihn die Radieschen von unten betrachten zu lassen? Wir werden es nie erfahren. Denn während andere sich vom Umgraben erholen müssen, laden wir nette Enkelinnen längst auf einen Kaffee in der Einliegerwohnung ein ...

(c) 2011 verkomplizissimus