Dienstag, 23. November 2010

Gestohlene Ware ist vom Umtausch ausgeschlossen

Jeden Tag gelingt es millionenfach, Menschen schadhafte Gebrauchtfahrzeuge, überteuerte Sparverträge oder unnötige Versicherungen anzudrehen. Woher nur kommt dann dieser vehemente Zweifel der Damenwelt an der Ehrenhaftigkeit meiner Absichten?

Der Einfallsreichtum, den die Natur an den Tag legt, um ihren genetischen Hackentrick in Sachen Geschlechtertrennung wiedergutzumachen, ist bewundernswert. Da blüht es, zirpst es, singt, ja blinkt und leuchtet es sogar allerorten. Blumen vergnügen sich mit Fluginsekten, Mollusken verfärben sich in allen Schattierungen des Regenbogens und Vogelmännchen führen seltsamste Tänze auf. Beim Menschen ist es im Grunde genau so. Und nicht nur dort; auch an anderen Orten.

Die dabei zur Anwendung kommenden Strategien sind so vielfältig wie die Natur selbst, wenn auch nicht unbedingt immer so einfallsreich. Vom Privileg, hinsichtlich der Balz nicht auf eine bestimmte, begrenzte Jahreszeit zurückgeworfen zu sein und die damit einhergehende Anpassung von Farbigkeit, Geruch und Tanzlaune relativ problemlos an- und ablegen zu können, wird allerorten ausgiebig Gebrauch gemacht. Menschen treffen sich auf Ansammlungen, tanzen wie wild zu Musik, die sie gar nicht mögen, oder betrinken sich an öffentlichen Plätzen. Manche suchen Clubs und Cafés auf, andere Parks und Abrissparties. Manche gehen ins Internet. Ich gehe einkaufen.

An kaum einem anderen Ort menschlicher Zivilisation lässt sich so unmittelbar die Wirksamkeit des Prinzips von Angebot und Nachfrage nachvollziehen wie in einem großstädtischen Supermarkt. Wobei natürlich eine ganze Reihe von Details zu beachten ist, die zwar keiner akribischen, aber dennoch einer sorgfältigen Vorbereitung bedürfen. Da wäre zum einen die Auswahl des Ortes. Es versteht sich, dass die kleinen Supermärkte in den überwiegend von jungen Familien bewohnten Neubausiedlungen in der Regel einen eher ungeeigneten Rahmen bieten. Auch Grossmärkte sind (schon allein wegen der distanzschaffenden Geländeeinkaufswagen, für die man am Eingang eine Fahrerlaubnis mindestens der Klasse II vorweisen muss) eher weniger geeignet, wenn man die Gänge zwischen Waschmittel und Konservendosen auf gedanklichen Frühlingspfaden durchwandeln möchte.

Doch noch entscheidender ist der Zeitpunkt. Die wöchentlichen Vormittage gehören den Hausfrauen, nachdem diese den Nachwuchs in Schule oder Kindergarten gebracht haben oder gleich von dort abholen werden. Frühe Nachmittage sind Pensionären, Studenten und den bunten Randgruppen unserer Gesellschaft vorbehalten. Zwischen 16:00 und 17:00 Uhr fluten die Angestellten öffentlicher Verwaltungen, nach 17:00 Uhr dann die arbeitende Bevölkerung die Supermärkte mit ihren Feierabendeinkäufen. Nun mag jeder seine ganz eigenen Neigungen haben. Ich schwöre auf die Zeit wochentags nach 20:00 Uhr oder – ein echtes Highlight – Sonnabend, späterer Nachmittag. Kurz: die Zeit, in der glückliche Familien ihr Zusammensein feiern und generell Menschen mit intaktem Sozialleben weitaus besseres zu tun haben, als ausgerechnet einkaufen zu gehen.

Sind Ort und Zeit richtig gewählt, geht es um ein Reihe kleiner, kaum wahrnehmbarer Details, die es nun noch zu beachten gilt. Einkaufszettel, zum Beispiel, wirken in den Händen von Männern schnell so, als sei man irgendwie hierher geschickt worden. Das schafft intuitive Barrieren. Leidet man – so wie ich – an einem desolaten Kurzzeitgedächtnis, kann Einkaufen ohne Zettel natürlich gewisse Nachteile mit sich bringen, fördert aber wiederum die Kreativität, wenn man später in seiner Küche steht und überlegt, was um alles in der Welt man denn nun aus diesem Sammelsurium an insgesamt Essbarem herstellen könnte. Entscheidet man sich am Eingang für Wagen oder Korb? Ein Korb sendet natürlich ein deutlicheres Signal (das ist sicher kein Familieneinkauf) und wirkt an sich dynamischer; auf der anderen Seite kann man sich an einem Einkaufswagen prima festhalten, wenn man einmal weiche Knie bekommen sollte. Manche schwören auch auf diese kleinen Kindereinkaufswagen, weil es angeblich irgendwie niedlich wirken soll, wenn ein sich für erwachsen haltender Mann mit einem solchen Hilfsgefährt durch die Gemüseabteilung tänzelt. Wahrscheinlich beruht das auf einer gekonnt austarierten Balance zwischen findiger Kreativität (die anderen Wagen waren wohl ausgegangen), männlichem Selbstbewusstsein (schau, wie wenig ihn das stört) und kindlicher Unbeholfenheit (ach schau mal, wie süß) und spricht so gleich mehrere Instinktebenen der Damenwelt an. Es sind die eher beziehungserfahrenen Damen, die man dadurch für sich gewinnt. Sofern ihre letzte Beziehung nicht dadurch begann, eben von einem Kindereinkaufswagen in den Knöchel gerammt zu werden. Wichtig bei dieser Vorgehensweise: unter den ersten Utensilien im Einkaufswagen sollte dann dringend eine Flasche guter Rotwein sein. Das regt die Phantasie an und macht relativ klar, dass nicht im nächsten Moment der eigentliche Fahrer des Wagens mit einer Tüte Gummibärchen in der Hand singend um die Ecke gehüpft kommt.

Überhaupt, der Inhalt des Wagens. Ihm kommt entscheidende Bedeutung zu. Aufbackbrötchen, zum Beispiel, wirken sich auf den Flirterfolg ungefähr so förderlich aus wie zwei fest montierte Babysitze auf der Rückbank eines Opel Astra Kombi. Alleinlebende Männer backen sich Sonntags keine Brötchen auf. Frauen haben ein Gespür für so etwas. Ähnlich verhält es sich mit Frauenzeitschriften. Will man sich also unbedingt den Schriftsatz der Gegenseite besorgen, sollte man das lieber heimlich in Bahnhöfen oder am Zeitungskiosk tun. Erstaunliche Erfolge hingegen erzielen WC-Reinigungsprodukte. Der tief in unserer Gesellschaft verwurzelte Chauvinismus macht es jedem selbstverständlich, dass kein Mann, der in einer Beziehung lebt, selbst WC-Reinigungsprodukte erwerben würde. Das ist zwar totaler Quatsch, gehört aber interessanter Weise zu den Signalen, die vor allem von besonders emanzipierten Frauen sofort wahrgenommen werden. Zudem illustriert man(n) so en passent ein grundsätzliches Hygieneverständnis und einen nicht unsympatischen Hang zur Reinlichkeit. Meine Freunde lassen sich gern von mir mit all den WC-Reinigungsprodukten versorgen, die ich von jedem Einkauf mitbringe. Verraten werde ich ihnen diesen Trick natürlich nicht.

Sofern diese Details Berücksichtigung finden, lassen sich Gespräche nicht nur leicht anbahnen, sondern sind gewissermaßen unvermeidlich. Hilfreich sind Grundkenntnisse in der Zubereitung warmer Mahlzeiten; vorteilhaft sind weitergehende Kenntnisse in der Verarbeitung von Rohmaterialien. In der Gemüseabteilung flirtet es sich angenehmer als über der Tiefkühltruhe oder vor Regalen mit Konservenbüchsen. Je exotischer die Zutaten in Einkaufskorb oder -wagen sich zusammensetzen, um so schneller ist das Interesse geweckt. Und wenn gemeinsames Kochen eines der schönsten Vorspiele für eine leidenschaftliche Liebesnacht sein kann, ist der Austausch von Rezepten oft schon purer Sex. Doch auch Vorsicht ist geboten.

Fiel mir doch letztens an der Fleischtheke ein Dame ins Auge, deren Gesamtauftreten bis hin zu einer, in gewisser Weise verzweifelten Kürze ihres Sommerkleidchens klar machte, dass jeglicher von ihr getätigter Einkauf an diesem Nachmittag eher ein Kollateralnutzen war denn ihre eigentliche Intention. Ich sprach sie quasi dadurch an, dass ich in ostentativer Selbstverständlichkeit EIN Stückchen Hähnchenbrust orderte. Wäre die Metapher nicht so platt, würde ich jetzt schreiben, dass sie auch sofort angebissen hatte. Plaudernd arbeiteten wir uns an der Milch- und Käseabteilung durch den Non-Food-Bereich bis zur Kasse vor. Als sie mir zwinkernd eine Familienpackung Kondome in den Korb legte, wünschte ich, ich hätte mich an diesem Tag für einen Einkaufswagen entschieden, an dem ich mich in diesem Augenblick hätte festhalten können.

Das piepsende Geräusch der Scannerkasse erinnerte mich an die Herzfrequenzmesser im Behandlungszimmer bei Dr. House – und so schreckte ich kurz auf, als dieses Piepsen unvermittelt ein Ende nahm und ich mit ermahnendem Blick der Kassiererin zur Zahlung aufgefordert wurde. Meine Hähnchenbrust-Prinzessin stand schon in der Tür des Supermarktes und winkte mir kokett zu, ehe sie um die Ecke bog. Hastig meine Einkäufe zusammengerafft folgte ich ihr nach. Ich fand sie – nach einigem Umherirren – auf einer Bank in einem Park um die Ecke, als sie nach und nach eine Reihe sündhaft teurer Kosmetikprodukte unter ihrem luftigen Sommerkleid hervorzauberte. Ein wenig verlegen lächelte sie mich an. „Weißt Du – bei Frauen in Begleitung eines Mannes gucken die meistens nicht so genau ...“ Wir haben an diesem Abend nicht mehr gekocht. Dafür war es einfach zu heiß ...

Ob unser Held wohl ausreichend Vanilleeis eingekauft hat, um dieses Wochenende zu überstehen? Wird er von seinem sechsmonatigen Umtauschrecht gebrauch machen? Wir werden es nie erfahren. Denn wir schwitzen derweil immer noch in der überlangen Schlange vor der Kasse des Grossmarktes ...


(c) 2010 verkomplizissimus

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