Dienstag, 23. November 2010

Waldfeen im Morgenlicht

Über weite Teile meiner Sozialisation der Literatur des 19. Jahrhunderts schutzlos ausgeliefert gewesen zu sein, hat schlimme Dinge mit meinem Frauenbild angestellt. Vermengt mit den handelsüblichen Einflüssen meiner Jugendzeit ergab sich so eine bizarre, psychologische Landschaft, irgendwo zwischen Dostojewski, Flaubert und dem Dr. Sommer-Team.

Soviel zumindest stand für mich fest: Frauen sind feenhafte Zauberwesen, die sich bevorzugt im ersten Morgenlicht an verwunschenen Waldseen treffen, um dort mit den Strahlen der aufgehenden Sonne in schwindenden Nebeln zu tanzen. In ihnen wohnen Anmut und Poesie, sie werden von zarten Gefühlen regiert und der G-Punkt ist der Pfad der Tugend auf der ritterlichen Suche nach dem heiligen Gral des weiblichen Orgasmus. Im Grunde hat sich daran bis heute nicht viel geändert. Bis vielleicht auf die Sache mit dem (mittlerweile auch von der Wissenschaft anerkannt) überbewerteten G-Punkt. Die Tugend kennt bessere Pfade. Auch ritterliche.

Es mag dem geneigten Leser sonderbar erscheinen, aber im Großen und Ganzen bleibt festzuhalten, dass mir dieses Frauenbild das Leben nicht immer leichter gemacht hat. Meine Biographie ist sozusagen gespickt mit dem dumpfen Geräusch, das eine Waldfee macht, die, von einem Sonnenstrahl zu hart getroffen, in einen dunklen, moderigen Tümpel plumpst. Schon meine erste Freundin gehörte eher zur Gattung der Langschläferinnen, war für Waldspaziergänge am frühen Morgen nicht recht zu haben und fand es angebrachter, ich würde ihr huldigen, indem ich ihr das Frühstück ans Bett brachte. Zum Glück bin ich ja ein flexibles Kerlchen.

Schlimmeren Schaden nahm mein unbescholtenes, seelisches Gleichgewicht bereits in jungen Jahren an anderen Umständen. Zum Beispiel dem, dass immer wieder gerade jene Damen, zu denen ich mich ausgesprochen hingezogen fühlte, ihrerseits scheinbar von den ausgesucht größten Idioten in meinem Umfeld angezogen wurden. Um von ihnen unumwunden und recht alsbald dann auch ausgezogen zu werden. Im bildlichen wie mit allen anderen Sinnen. Selbstkritisch wie ich veranlagt bin, stelle ich mich dem Vorwurf, in der Beurteilung meiner damaligen Mitbewerber nicht uneingeschränkt objektiv gewesen zu sein. Aber ich beschloss dennoch, auch die Werke des Leopold von Sacher-Masoch in meine literarischen Studien zum Wesen der Frau mit einzubeziehen. Anders als durch das nach ihm benannte Prinzip der „Venus im Pelz“ erschien mir das Verhalten dieser Damen nicht recht erklärbar.

Ich begann also, meine Studien über die literarischen hinaus auszudehnen und beschloss, mich künftig stärker der Empirie zu widmen. Zunächst einmal der neutralen Beobachtung. Zum Beispiel des Teilnehmerfeldes. Wie musste man sein, um das Streufeuer Amors auf sich zu lenken und nicht als Kollateralschaden zu enden? Zunächst waren da einmal all die abschreckenden Oberflächlichkeiten. Es schien wichtig zu sein, zu viel zu trinken, immer ein wenig zu laut zu sein und auch, sich ab und zu in körperliche Auseinandersetzungen mit anderen zu begeben. Mit fortschreitendem Alter gewannen auch Transportmittel – anfänglich frisierte, höhergelegte Krafträder, später wuschelige, tiefergelegte Kleinwagen – an Bedeutung. Und ich Trottel hatte Reitstunden genommen. Hielt ich doch die Verfügbarkeit eines Schimmels im rechten Augenblick für ein unverzichtbares Utensil im Ringen um die Dame des Herzens. Wenigstens knattern Schimmel nicht so laut, wenn sie sich fortbewegen.

Doch das alles war es nicht. Nicht im Kern. Das wurde mir klar, als ich meine empirischen Studien über die reine Beobachtung hinaus ausdehnte. Denn als ich erkannt hatte, wie erfolgreich sich tumbe Machos in manchen Momenten sentimentale Züge wie ein frisches Hemd überstreifen können, dachte ich mir, das müsse doch auch anders herum funktionieren. Und sollte anfangs recht behalten. Meine Attraktivität schien mit jeder Bemerkung über die Unfähigkeit einer Frau, vernünftig einzuparken, und mit jeder Sportübertragung, der ich sichtbar beiwohnen konnte, zu steigen. Selbst meinen geliebten Rotwein habe ich immer wieder stehen lassen und gegen eine Bierflasche von zweifelhafter Herkunft und Jahrgang eingetauscht. Allein ... ein nachhaltiger Erfolg wollte sich dennoch nicht einstellen. Ich brauchte Jahre, um schließlich dahinter zu kommen.

Woran es mir im Grundsatz mangelt, ist die tiefempfundene Gleichgültigkeit gegenüber der Seele einer Frau. Eben diese Gleichgültigkeit, die sich ganz selbstverständlich über alle emotionalen Gegebenheiten eines Tages hinwegsetzt und die abfälligen Bemerkungen über Einkaufsgewohnheiten von Schuhwerk von Herzen kommen lässt. Eben diese traumwandlerische Sicherheit, mit der sich Menschen wie Mario Barth oder Ingo Appelt auch über die intimsten Peinlichkeiten hermachen können, um dabei der Welt noch ihr lachendes Antlitz entgegenzustrecken. Und die Welt lacht mit. Vor allem die Frauen im Publikum. Fünf Minuten Unfähigkeit, nach zufälligem Hineinzappen in die Fernsehübertragung gleich wieder wegzuschalten haben gereicht, danach fünf Jahre Lyrik auf meiner Festplatte einfach mal zu löschen. Alles in meinem Leben war so offensichtlich schiefgelaufen.

Einmal schwanger, besteht die ganze Welt nur noch aus Menschen, die Kinderwagen schieben. Allerorten Frauen, die beim Anblick von Schuhen kreischen wie ehedem britische Teenies, wenn die Beatles aus dem Flugzeug stiegen. In allen Cafés dieser Welt nur noch Carries, Samanthas, Charlottes und Mirandas, die knackigen Bauarbeitern auf der Straße hinterherpfeifen. Denselben Bauarbeitern, die dann niedlich unbeholfen vor dem geöffneten Waschvollautomaten dilettieren, im Schlafzimmer zum südamerikanischen Zuchthengst mutieren, um dann brav am Frühstückstisch Witze über Frauen beim Autofahren zu reißen, bevor sie wieder ihrem harten Broterwerb nachgehen. Damit ihre Frauen wieder neue Schuhe kaufen können. Die Welt in Stereo. Typisch.

Zum Glück aber gibt es sie doch noch. Und waren sie nie fort. Denn sie sind überall. Und stecken in jeder Frau. Morgens treffen sie sich – heimlich – um ein bisschen im Nebel über den Waldseen zu tanzen. Schleichen als Nachtkatzen durch die Straßen, um Beute zu reißen und in die dunklen Verstecke ihrer Leidenschaft zu zerren. Küssen ab und zu ein Rosenblatt und mögen Gedichte. Sind selbstbewusst, stark, emotional - und immer wunderschön. Keine noch so schubladenkastige Fassade kann das überdecken. Zeit, das einmal wieder zu zeigen.

Mrs. Peel – sie werden gebraucht.



Wird Emma unserem Helden nun auf ihre einmalig charmante Art das Genick brechen? Oder ihn die Verleumdungsklagen frauenliebender Comedians in den Ruin treiben? Wir werden es nie erfahren. Wozu auch. Wir leben doch schließlich selbst genug ...


(c) 2010 verkomplizissimus

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