Dienstag, 23. November 2010

Kochende Leidenschaft

Gesegnet die Zeit, in der man mit selbstgespitztem Pfeil und Steinaxt auszog, sein Abendbrot zu erlegen. Maximaler Zubereitungsgrad einer Mahlzeit war vielleicht noch ein spontaner Garungsprozess durch wohlmeinenden Blitzeinschlag. Über Probleme mit elektrischen Dosenöffnern ist aus diesen Tagen zumindest wenig überliefert.

Weise Menschen weisen darauf hin, dass es oft Kleinigkeiten sind, an denen das Glück einer langen und friedlichen Beziehung hängt. Dazu gehört ein Badezimmer mit zwei Waschbecken und eine Küche, die so klein ist, dass nur eine Person zur Zeit in ihr kochen kann. Auf der anderen Seite wird der gemeinsamen Zubereitung von Mahlzeiten in vielen Beziehungsratgebern ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Zumal in der Anbahnungsphase langer und glücklicher Beziehungen.

Wir lernen das in Amerikanischen Abenteuerfilmen: Haben der Held und das schöne Mädchen erst alle Fährnisse und Katastrophen gemeistert, sinken sie sich blutverschmiert, aber leidenschaftlich verliebt in die Arme. Erfolgt dann ein Kameraschwenk auf das nächstliegende Kaminfeuer, so hat dies im Übrigen weniger damit zu tun, die Jugend zu schützen, der man gerade neunzig Minuten lang vorgeführt hat, wie man Menschen umbringt, um ihr nun vorenthalten zu wollen, wie man denn welche macht. Nein. Das prasselnde Kaminfeuer soll vielmehr vom schmerzverzerrten Lächeln ablenken, wenn die Liebste sich nun gar zu fest an die frisch angebrochenen Rippen des Helden anzuschmiegen wagt. Wobei „frisch“ mir das rechte Stichwort liefert, um zum eigentlichen Faden meiner Erzählung zurückzufinden. Oder war es das linke? Egal.

Es sind böse Zungen, die behaupten, mein Faible für frische Zutaten sei vorrangig meinem Unvermögen geschuldet, mit dem Erfindungsgeist moderner Verpackungsingenieure Schritt zu halten. Noch immer geistert in meinem Bekanntenkreis die Mär von der widerspenstigen Konservenbüchse herum und werden hinter vorgehaltener Hand Aufnahmen gezeigt, die mich unter einem Panzer von Mullbinden und Gipsverbänden nur für Nahestehende erkennbar werden lassen. Die Geschwindigkeit und Durchschlagskraft, die eine gewöhnliche Dose Tomatenmark nach gezieltem Hieb mit einem Vorschlaghammer erreichen kann, wird immer noch landläufig unterschätzt. Dabei geht die wahre Gefährdung gar nicht von der Verhüllungswut der Lebensmittelindustrie aus. Sie schlummert vielmehr ungeahnt in den eher profanen Küchengeräten.

Im Gegensatz zur Französischen Cuisine, in welcher Dinge durch wochenlange Zubereitung nach verzwicktesten Methoden in Essbares verwandelt werden, schwören Italienische und Asiatische Küche darauf, nur beste Zutaten zu verwenden und so wenig wie möglich mit ihnen anzustellen, um ihren natürlichen, ursprünglichen Charakter nicht zu verderben. Entgegen meinem natürlichen, ursprünglichen und verdorbenen Charakter in Liebesdingen wende ich mich also in der Küche vom Französischen ab und im Allgemeinen eher dem Mediteranen zu. So viel zum Thema „böse Zungen“.

Schnell kam die hungrige Schöne, die im Zimmer neben der Küche ihrer Verköstigung harrte, hinzugeeilt, als ich gerade dabei war, zärtlich Tomaten zu vierteln. „Gibt es Überlebende?“, formte ihr süßer Kirschmund zur Frage. Erbleichend starrte sie auf das Gemüsemesser, welches fast bis zum Schaft in die Wand der Küchenvertäfelung eingedrungen war. Knöcheltief watete ich in den Eingeweiden unschuldig dahingemeuchelter Pomodore und lächelte sie beruhigend an. Ich bin nur an einer etwas zu harten Tomate abgerutscht. „Komm, ich geh Dir ein wenig zur Hand“, lächelte sie zurück. Zu betörend, um vernünftig zu sein und sie fortzuschicken. Weit, weit fort.

Verliebt filetierte ich meine Auberginen und konnte die Augen nicht von ihr wenden. Wie liebreizend sich kleine Kräusel um ihre Nasenwurzel bildeten, als sie besorgt meine Fingerspitze betupfte, die zunächst am Ende der Aubergine und nun um ein Haar gleich neben der letzten ihrer  abgetrennten Scheiben gelegen hatte. Der Aubergine. Nicht meiner Küchenfee. Mit sanftem Druck führte sie mich zur Spüle und zum Wasserhahn. Wobei „sanfter Druck“ nicht unbedingt die Begegnung zu beschreiben vermag, welche sich auf dem Weg dorthin zwischen der geöffneten Ofenklappe und meinem Schienbeinknochen ereignete. Sofern es geknackt haben sollte, war dieses im lauten Zischen untergegangen, mit dem mir selbige eine noch heute sichtbare Erinnerung an diesen Abend durch die Hose hindurch in mein Bein brannte. Meine bezaubernde Besucherin hatte alle Hände voll zu tun. Als sie resolut verkündete, ich müsse mich gänzlich meiner Hose entledigen, damit sie die Wunde besser versorgen könne, wusste ich, dass es kein grundsätzlicher Fehler gewesen war, sie nicht sofort aus der Küche herauszukomplementieren.

Immerhin gab mir der Moment, den sie in meinem Badezimmer nach dem Erste-Hilfe-Kasten kramte, Gelegenheit, kurz Wasser für die Pasta aufzusetzen. Gleich nach erster Berührung der Herdplatte bildeten sich erste Eiskristalle am Boden des Topfes. Das ist ja einer der Gründe, warum ich eigentlich eher Gasherde schätze. Hitze ist da, wenn man sie braucht – und sofort wieder weg, wenn man sie nicht mehr braucht. Leider war auch mein Gasherd eines Tages plötzlich weg. Und das, obwohl ich ihn doch eigentlich gerade in Gebrauch hatte. Mein Nachbar auf der gegenüberliegenden Straßenseite, in dessen Wohnzimmer sich die meisten der Trümmerteile wiederfanden, schwört seit dem auch auf Elektroherde. Ich vermisse die Tage, in denen ich durch das Loch in meiner Küchenwand Tauben und Eichhörnchen gefüttert habe und bin nun meinerseits auf Kochen ganz ohne fossile Brennstoffe zurückgeworfen. Ist es wirklich das Atom, das unser aller Leben schöner macht und uns eine strahlende Zukunft beschert? Ich hoffte, mein Herd sei nicht durch einen kruden Rückkopplungsmechanismus mit der Quelle verbunden, an welcher der ihn betreibende Strom erzeugt wurde.

Solchen Gedanken nachhängend sott ich mittlerweile die Scaloppine in freischarrendem, linksdrehendem Olivenöl. Zärtlich schlangen sich von hinten zwei Arme um mich und begannen, an den Knöpfen meines Hemdes zu nesteln, zogen sich jedoch, von vorlauten Fettspritzern empfindlich getroffen, schnell wieder zurück. Ich wand mich von der Pfanne ab und meinem bezaubernden Gast zu – nicht zuletzt, um weiteren Brandblasen zwischen meiner Brustbehaarung aus dem Weg zu gehen. Die kleinen Verletzungen auf den schlanken Fingern meiner wunderschönen Florence Nightingale mit den Lippen tröstend, dabei – rein der Vorsicht halber – Unter- und Oberarme einer genaueren Untersuchung mit ebendiesen unterziehend, arbeiteten sich meine Küsse langsam, aber sicher in Richtung von Hals, Wangen und Weiterem empor.

Wer je etwas darüber gelesen hat, dass Pfannen mit brennendem Öl nicht unter fließendem Wasser gelöscht werden sollten, dem sei an dieser Stelle versichert, dass es sich dabei keinesfalls um eine dieser „Urban Legends“ handelt. Die so entstehende Stichflamme ist in etwa so beeindruckend wie die Nachhaltigkeit, mit welcher das Feuer danach um so munterer weiterbrennt. Es wurden also neben den  Scaloppine auch weite Teile meines Kücheninventars einschließlich der Hängeschränke und des sie umgebenden Tapetenwerks geröstet. Wir hatten uns dann dafür entschieden, eine Pizza zu bestellen. Und konnten sie schließlich sogar vom entsprechenden Boten entgegennehmen, der sich nach einiger Mühe seinen Weg durch die versammelten Hausnachbarn gebahnt hatte, die sich besorgt vor meiner Wohnungstür versammelt hatten.

Die Pizza ist dann allerdings kalt geworden. Voller Zärtlichkeit haben wir den Rest der Nacht gegenseitig unsere Wunden versorgt, nur einmal kurz – so gegen drei Uhr morgens – vom Nudelwasser unterbrochen, dass sich schließlich doch noch durchgerungen hatte, ein bisschen zu kochen. Oder auch ein bisschen mehr. Wir lagen da schon im schummrigen Licht des Wohnzimmers auf dem Sofa, lauschten dem Rumpeln und Zischen aus der Küche und träumten gemeinsam von den Geysiren Islands. Schließlich hatten die Amerikanischen Abenteuerfilme doch recht behalten. Diesen Abend lebend überstanden zu haben, schweißte uns auf einige Zeit glücklich zusammen. Auch, wenn ich den weniger glücklich zusammengeschweißten Herd am nächsten Morgen erst etwas mit Tesafilm und Paketband kleben musste, um Rühreier machen zu können.

Wie wird die bezaubernde Besucherin unseres Helden mit der Idee umgehen, dass dieser zum Rührei auch noch Brötchen aufbacken möchte? Und wird die heiße Leidenschaft dieser Nacht auch Morgen noch das Nudelwasser zum Sieden bringen? Wir werden es nie erfahren. Denn nie werden wir uns freiwillig wieder in die Nähe dieser Küche trauen. Schließlich sind wir ja nicht lebensmüde, oder?


(c) 2010 verkomplizissimus

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