Freitag, 1. April 2011

Voll Bock auf Gärtnern

Neben dem alten, guten Siegfried gibt es noch andere Lenze, die sich derzeit vehement in den Vordergrund zu rücken verstehen. Oft genug ist es dann auch genau der Rücken, der sich in der Folge unter freiem Himmel verrichteter Arbeit nicht minder vehement zu Wort meldet. Den Serien-Junkies unter meinen Lesern sei gesagt: Nein, diese Folge lässt sich nicht in den bisher auf DVD erhältlichen Seasons finden. Diese Season sollte man dann doch schon selbst erleben.

Glücklich, wer jemanden kennt, der Zugriff auf einen Garten hat. Dumm, wer dann sein vorlautes Mundwerk nicht zu halten versteht. Denn allzuschnell hält man dann anderes. Einen Spaten in der Hand, zum Beispiel. Derweil der Eigner der geheiligten Scholle sich eher darauf versteht, Reden ans Volk zu halten. Was bizarre Züge annimmt, wenn sich die Gesamtpopulation dieses Volkes aktuellen Zählungen meinerseits nach auf scheinbar ausschließlich mich beschränkt. Da nützt dann auch der Hinweis wenig, dass Schollenfischerei erst ab dem Monat Mai legitim sei und nach Verleihung des Literaturnobelpreises an Herrn Grass doch ohnehin ganz andere Plattfische viel höher im Kurs stünden.

Man lässt mich nicht ausreden sondern bezichtigt mich, nach eben solchen zu suchen. Ausreden. Nicht Butts. Würde ich jetzt nicht mit einem Spaten unter freiem Himmel stehen, sondern in anheimelnd vertrauter Verkrümmung und dichtem Tabaksqualm an meinem Schreibtisch hocken, könnte ich wenigstens schnell bei Wikipedia nachschlagen, ob es sich bei „Butts“ wirklich um den korrekt formulierten Plural dieses Meeresbewohners handelt. Und würde weiterforschen, woran man denn männliche von weiblichen Butten unterscheiden kann. Und wie die Fangquoten im Chinesischen Meer gerade eingerichtet sind.  Oder welchen Nährwert 100 Gramm Weißfischfleisch auf die Spur bringen, wenn man sie einen angemessenen Moment in Weißweinsud dünstet. Oder. Aber. Ich muss wohl dumm sterben. Denn ich kann nicht nachschlagen. Ich soll umgraben. Und das zwei Spaten tief. Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, den ich für meine Frage ernte, ob dabei wirklich die gesamte Länge des Stiels gemeint sei oder ob ich nicht unterwegs ein wenig schummeln dürfe, hätte ich auch diesen Begriff besser vorher einmal googlen sollen.

Ich bin Geisteswissenschaftler. Man darf von mir Eloquenz und Feingefühl erwarten, wenn es darum geht, die sensualen Eindrücke zarten Wachstums und elfengleicher Blütenerscheinungen festzuhalten. Auch sehe ich mich in der Lage, profunde Werturteile über gartenarchitektonische Konzepte, barocke, Englische oder Japanische Einflüsse, sogar über Zitate aus den großen Parkanlagen dieser Welt abzugeben. Gröber handwerklich geprägte Tätigkeiten liegen mir ferner. Und sind auch selten von wirklichem Erfolg geprägt. Binnen kurzer Frist gelingt es mir, blühende Tropengärten in etwas umzuwandeln, dass eher einer Hommage an die Kasachische Steppe sein könnte. Doch nein, das wäre übertrieben. Denn das geht zumeist nicht allein auf eigene Initiative zurück, sondern gelingt erst unter tatkräftiger Mitwirkung örtlicher Flora und Fauna. Vor allem - letzterer.

Nach meinen Erfahrungen hat es sich als Illusion erwiesen, mit politisch korrekten und ökologisch abbaubaren Mitteln dem entgegenzutreten, was nach Dekaden chemischer Kriegsführung in Deutschen Vorgärten genmutiert, multiresistent und überlebenshungrig am Image meines grünen Daumens nagt. Mit dem ersten Frühlingsgrün ist Leben allerorten dabei, vital die Systematik der Nahrungsketten zu illustrieren. Ganz unten stehen dabei in der Regel die Blätter und Wurzeln der von mir adrett angerichteten Vegetation. Und lasse ich dann der Natur ihren Lauf, so ist sie alsbald fast nicht mehr sichtbar. Zumindest nicht in dem Garten, den ich gerade bearbeitet habe. Nomadengleich ist die Karawane des Lebens längst weitergezogen; immer dorthin, wo Gleichgesinnte vor dem Gebrauch meuchelnder Erzeugnisse moderner Chemieproduktion zurückschrecken. Andere mögen derweil hinter fest verschlossenen Fenstern auf ihre fotogenen Kunstblumenbeete schauen und darin fortfahren, Kinder und Enkel eindrücklich davor zu warnen, die giftigen, aus dem Garten herankommenden Dämpfe einzuatmen oder gar eines dieser wehrhaft mit allerlei Wirksamem ausgestatteten Pflänzchen zu berühren. Das ist meine Sache nicht. Ich schaue lieber in die meditative Ruhe der schonend bearbeiteten Gartenfläche und lese Bücher über Pferdezucht. Die soll in der Kasachischen Steppe nämlich ganz hervorragend funktionieren. Schon allein deshalb, weil sich dort kaum etwas anderes anstellen lässt.

Doch auch hier hat die Natur ein Einsehen. Und schickt mir ihre Boten und Handlanger zu, auf dass meine kleine Steppe nicht allzu öde und trist bliebe. Vor allem nicht flach. Wer wie ich ein lebenslanger Fan der „Sendung mit der Maus“ ist, weiss, welch possierliche Kerlchen unter der Oberfläche hausen, um ab und an – mit winzigem Schäufelchen und grenzenloser Neugier bewaffnet - an die Oberfläche zu stoßen. Um dort lustige Abenteuer zu erleben und ein paar Brocken Tschechisch zu sprechen. Freilich muss ich eingestehen, das Kerlchen mit dem Schäufelchen selbst noch nie zu Gesicht bekommen zu haben. Sein eifriges Wirken hingegen ist umfangreich und sichtbar dokumentiert. Überall.

Mein Ansatz, die optische Wirkung der auf diese Weise entstandenen Berg- und Schluchtenlandschaften durch gezielte Anpflanzung von Bonsai zu verstärken, wurde durch den bestetigen Eifer wohl wühlender Mäuse zunichte gemacht. Noch besser als aufs Wühlen verstanden sich jene nämlich darauf, Wurzelwerk abzufressen, was meiner Waldlandschaft einen quasi ewigen, blattlosen Winteranschein verlieh. Und so etwas kann auf die Dauer schon recht deprimierend wirken. Ich holte mir fachkundigen Rat. Dieser Bestand im wesentlichen im Hinweis auf das besonders feine Gehör der kleinen Pelztierchen. Man müsse nur adäquaten Lärm machen, dann würden sie recht bald von selbst das Weite suchen. Meinem Einwand, dass ich das Weite wahrscheinlich lange vor den Pelztierchen finden würde, wenn der Garten geräuschlich von einem Ort der Ruhe zu einer eher geschäftigen Bundesautobahnbaustelle mutiere, wurde entgegengehalten: Nein, es reiche vollkommen aus, in gewissen Abständen Bierflaschen in die Löcher und Gänge zu stecken. Leere, natürlich. Vielleicht, dachte ich mir, denken die Wühlmäuse dann, die Bauarbeiter seien gerade nur kurz weggegangen. Vielleicht, um neues Bier zu holen. Man belehrte mich: Nein, mit dem Hals (geöffnet) nach oben seien sie zu postieren. Die Flaschen, nicht die Bauarbeiter. Der sanft darüberstreichende Wind tue dann sein übriges und das eben unterirdisch.

Bierflaschen waren in diesem Sommer so ziemlich das einzige, dass sichtbar in diesem Garten wuchs. Doch ich muss zugeben, sie gediehen prächtig. Überall schossen sie quasi wie Pilze aus dem Boden. Ob Gemüsebeet, Rabatten oder Sonnenrasenstück – ein gleichmäßiger Teppich aus dem Boden ragender Flaschenhälse gab dem gesamten Areal eine ... ganz eigene Atmosphäre. Fast war ich versucht, mit der süddeutschen Gastronomenzunft den Rechtekrieg um die Verwendung des Begriffes „Biergarten“ aufzunehmen. Die wenigen Menschen, die sich trotzig über das Gerede der Nachbarschaft hinwegsetzten und dieses landschaftsarchitektonischen Kabinettstückchens ansichtig wurden, zeigten sich allesamt beeindruckt. Ich hatte mir zu solchen Anlässen angewöhnt, in mindestens die Hälfte der leeren Flaschen einzelne Schnittblumen zu platzieren. Gekaufte, versteht sich. Viel weniger beeindruckt zeigten sich hingegen die bepelzten Mitbewohner. Standhaft hielten sie mir die Treue. Am Ende der damaligen Gartensaison gab es dann wahrscheinlich zum ersten Mal seit überlieferter naturwissenschaftlicher Forschung gehörgeschädigte Nagetiere in Norddeutschland. Und ich hatte ein Alkoholproblem.

Vielleicht hätte ich ja Tschechisches Bier nehmen sollen. Tiere können da eigensinnig sein. Und konsequent. Genau so konsequent wie Bier dazu geeignet ist, Schnecken anzuziehen. Magisch. Und in großen Stückzahlen. Weiß der Himmel, wo all diese Tierchen überhaupt noch etwas zu fressen gefunden haben. Als sie schließlich dazu übergingen, sich gegenseitig zu verspeisen, erklärte ich die Gartensaison für diesen Sommer beendet und wandte mich eher herbstlichen Vergnügungen zu. Kastanientierchen bauen, zum Beispiel. Wenn man die dann auf Maulwurfshügel setzt, sehen sie mit etwas Phantasie ein bisschen aus wie Bergziegen.

Ich weiß nicht, wie ich jetzt darauf komme, doch es mag auch an der damaligen Nachbarin gelegen haben, dass mir die Arbeit unter freiem Himmel nicht wirklich viel Spaß gemacht hat. Das sieht in dem Garten, indem ich mittlerweile in Erinnerung an meine Maulwürfe schon mindestens viertelspatentief vorgedrungen bin, netter Weise ganz anders aus. Malerisch über den Spaten drapiert wische ich mit dem Handrücken ehrlichen Schweiß von meiner Stirn und achte sorgsam darauf, nicht unter Atemnot und Schwächegefühlen zusammenzubrechen. Statt dessen plaudere ich. Über Englische und Japanische Gärten, den unvergleichlichen Geschmack selbstgezogener Kirschtomaten und darüber, wie man effektiv und umweltschonend Maulwürfe oder Wühlmäuse vertreibt. Und ja, natürlich schaue ich mir später mit Vergnügen die neuangelegten Radieschenbeete im Gärtchen ihrer Großmutter an. Und nein, es macht mir nichts aus, den Spaten gleich mitzubringen. Schließlich muss einer so netten, alten Frau doch geholfen werden. Etwa dadurch, dass man ihrer reizende Enkelin beim Umgraben ein wenig unter die Arme greift. Ich meine. Zur Hand geht. Meine Güte. Der Rücken tut überhaupt nicht mehr weh. Ich spüre neue Kräfte in mir wachsen. Ja. Juchei. Wahrlich. Es ist Frühling.


Wird unser Gärtner die wahre Maulwurfsnatur seines Daseins noch rechtzeitig erkennen? Oder findet der giftspritzsprühendstreuende Nachbar zur Linken einen einfacheren Weg, ihn die Radieschen von unten betrachten zu lassen? Wir werden es nie erfahren. Denn während andere sich vom Umgraben erholen müssen, laden wir nette Enkelinnen längst auf einen Kaffee in der Einliegerwohnung ein ...

(c) 2011 verkomplizissimus

1 Kommentar:

  1. Achtung, es folgt ein neuzeitlicher Ausdruck des Wohlgefallens:

    :-)

    Ein wundervoller Nebeneffekt deiner neuesten Herzerfrischung besteht darin, dass ich mittlerweile recht froh darüber bin, meinen Garten in einen etwa einen Meter breiten Blumenkasten gequetscht zu haben - welcher sein vernachlässigtes Dasein auf meinem Balkon fristet.

    Das macht die Sache mit der Gärtnerei recht unkompliziert...

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